Die Auswirkungen der Za-Zen-Übung                    

Zen-" Was bringt mir dieses mühevolle Üben, und wie lange muß ich das üben? " Dies ist die erste Frage, die ich von Interessenten zu hören bekomme. Denn hier in Europa regiert das Kosten-Nutzen-Denken, ist Effizienz gefragt. Der Fragende könnte genausogut wissen wollen: " Was bringt mir dieses Leben und wie lange lebe ich es? " 

Zen bringt nichts- außer Anstrengung, Disziplin und schmerzenden Beinen. Es gibt nichts Ungewöhnliches vorzuweisen, keine mystischen Erlebnisse, die Kondition wird nicht besser, man wird nicht gescheiter, nicht schlanker oder schöner und schon gar kein Heiliger- eher ein komischer Heiliger, sag ich immer...Zwar schläft man tief und fest, ist ausgeglichen und zufrieden mit sich und seiner Umwelt, wird toleranter und bewertet nichts mehr im Sinne einer absoluten Wertigkeit: Doch dies alles kann man auch mit anderen Methoden erreichen. 

Weil man selten etwas über die Auswirkungen lesen kann und manche Aussagen, die ich schon hörte, so bombastisch und ungewöhnlich klingen, möchte ich einfach meine eigenen Erfahrungen erzählen... 

Warum also Za-Zen üben? Ich will versuchen, meine Empfindungen zu beschreiben, nur meine Erfahrungen wiederzugeben nach derzeit rund 38 Jahren täglichen Übens, egal ob ich gut drauf bin wie meistens, müde oder traurig, also unabhängig von den Gegebenheiten des Lebens übe ich: Jeden Tag, ich esse ja auch jeden Tag und putze täglich meine Zähne... 

Dabei rede ich nur vom Soto-Zen nach Meister Dogen: Man sitzt also auf dem Sitzkissen, und je nach Schüler konzentriert man sich: Entweder zählt man die aus- und eingehenden Atemzüge, oder nur die ausgehenden oder nur die eingehenden Atemzüge. Man darf nicht den Faden verlieren, bei 10 beginnt man von vorne. Die Zahl muß man plastisch vor sich sehen. Eine weitere Methode ist das heiter-gelassene Betrachten des strömenden Atems und schon etwas schwieriger. Verliert man dennoch die Konzentration und den Faden: Nicht ärgern und wieder von vorne beginnen, konzentrieren... 

Die Krönung aber ist SHIKANTAZA, also nur Sitzen. Auftauchende Gedanken lässt man einfach durchziehen, ohne sie zu hassen oder zu lieben, ohne ihnen Beachtung zu schenken oder ihnen gar anzuhaften. Dabei ärgert man sich nicht über sein Unvermögen, die Konzentration permanent halten zu können: Man kehrt einfach zu seiner Übung zurück und sitzt wachsam wie ein Tiger im Hier und Jetzt, man lebt nur in diesem einen Moment und ist voll präsent. Störungen durch Gedanken berühren mich also nicht, ich bin wie ein plätschernder Bach, also ich übe gleichförmig wie fließendes Wasser: Lästige Gedanken lasse ich einfach ziehen, wie ein Blatt im Bach weggespült oder ein Zweig davongetragen wird von dem sanft fließenden Wasser...Oder wie die Wolken am Himmel ziehen, sich nach und nach auflösen... 

Bei allen Übungsformen ist eines gegeben: Die totale Konzentration, wodurch man Störungen sofort erkennt und diese sich verflüchtigen lassen kann...Irgendwann sind die Gedanken versiegt wie ein ausgetrockneter Bach im Hochsommer und Ruhe und Frieden spüre ich nun. 

Ich bemerke, wie ich ziemlich schnell zur Ruhe komme vom Tagesgeschehen: Wie ein Stehaufmännchen, das sich im Lot einpendelt...Meine Empfindungen, Gefühle und Gedanken werden neutralisiert, die Ruhe wirkt wohltuend. Ein Geräusch, das mich sonst aus dem Häuschen bringt, höre ich einfach, ich höre es...Es stört nicht. Eine plötzlich zufallende Türe, ein herabfallender Gegenstand im Haus oder draußen, ein herabrasselnder Rollladen oder ein unvermutet laut losbellender Hund: Wo ich normalerweise erschrecke und zusammenzucke, bewirken solche plötzlichen Geräusche hier nichts: Ich erschrecke nicht, ich höre es ohne emotionale Reaktion, ohne mich zu ärgern oder es zu bewerten. Nur hören... 

Der Übende bekommt nun zu seinen Empfindungen, Erkenntnissen, Gedanken und sonstigen Verhaltensmustern eine gewisse Distanz; dies geschieht ganz von alleine und automatisch, während sich der Übende konzentriert. Ich erinnere an das Stehaufmännchen oder die japanische Daruma-Puppe, das bzw. die sich im Lot eingependelt hat und jetzt stillsteht... 

Je länger man übt, umso mehr automatisiert sich das Ganze, ähnlich den unbewußten Schwimmbewegungen oder den Handlungen und Bewegungen beim Autofahren oder Joggen...Taucht ein störender Gedanke auf, läßt man ihn ziehen, ohne Emotionen...Ziehen...Er ist wieder weg...Der Gedanke zieht weiter und löst sich auf, wie die weißen Wolken...Das Ganze übe ich aber ohne Leistungsanspruch und doch voll konzentriert... 

Ich als Übender gerate dadurch in eine Beobachterrolle- nicht in die eines kritischen Perfektionisten, der alles bemerken und bewerten muß oder will- sondern in die eines unbeteiligten, gelassenen Beobachters, der einfach die Dinge betrachtet und sie sich entwickeln lässt, wie sie es gerade tun. Er lässt es einfach geschehen, er lässt es zu... 

Dabei geht das Leben weiter: Ich nehme unbewußt daran teil, Empfindungen tauchen auf und neue Erkenntnisse, banale Gedanken ( Meine Beine tun weh, es ist Zeit, aufzuhören...), und  andere Geräusche, die erst unangenehm sind, mutieren zum friedvollen Hintergrundgeräusch... 

Ich erlebe Impulse, die  mich sonst zu irgendwelchen Handlungen oder Reaktionen bewegen- hier jedoch " muß " ich nicht reagieren. Ich darf alles " auf die lange Bank schieben, " muß nichts tun, sondern nur in diesem Augenblick atmen und leben...Wie schön!!! 

Diese wache Selbstvergessenheit wird nach dem Aufstehen vom Sitzkissen als wohltuende Entspannung empfunden. Während der Übung wird dieser Zustand ja nicht bewertet, sondern als " Im Lot sein/ Im Gleichgewicht sein " verspürt oder auch als völlige " Ich-Losigkeit..." Es ist ein Zustand großer bis völliger Harmonie und ruhigen Glücks, von erfrischender Natürlichkeit und das Gefühl eines völligen Friedens tut mir gut. Diese Bewertungen erfolgen natürlich erst nach der Übung, denn diese erlebt man hellwach und gleichzeitig unbewußt ( im Sinne eines reflektierenden und bewertenden Bewußtseins, das gleichzeitig etwas festhält ). 

Egal, was mir so passiert: Nichts wird bewertet oder festgehalten, alles wird einfach erlebt und wenn die Gedanken abgedriftet sind, kehre ich einfach zu meiner Übung zurück... 

Und noch etwas ist bemerkenswert: Die Zeit schrumpft quasi...Ich benütze einen Timer, um mindestens 15 Minuten zu üben, meist wird es länger, 20 -26 Minuten. Dabei kommt es mir vor, als sei ich nicht 23 Minuten, sondern etwa gefühlte 10 Minuten gesessen. Also dasselbe Phänomen, als wenn man sich sehr wohlfühlt und angeregt unterhält oder sonst was Angenehmes tut... 

Was bewirkt nun dieses Übung? Ich würde sagen, eine gewisse Distanz zu sich selbst und den Phänomenen, die Freiheit, nicht reagieren zu müssen und andererseits spontan reagieren zu können... 

Die Erschaffung des ICH`S 

Kinder leben völlig im Hier und Jetzt und sind sich keines ICH`s bewußt; später erschafft dann unser Geist dieses merkwürdige ICH. Er puzzelt die Eigenschaften, über die man sich definiert, wie ein großes Personen-Puzzle zusammen. Das Gesamt-Personenbild- das quasi aus mehreren Männern besteht, bin dann " ICH. " Bei mir waren das ein Banker, ein Typ-Halbgutmensch, ein Karatekämpfer, ein Ehemann, ein Freidenker, einige andere noch und dann später ein Ultramarathonläufer, ein nachdenklicher Philosoph und seit langem ein Zen-Trottel...^^ Doch nur solange ich deren Aufgaben oder Tätigkeiten ausübe, bin ich der jeweilige Mann. Dann schlüpfe ich in die Identität des nächsten. Da ich dabei aber nie der typische Zunftvertreter bin, fühle ich mich nicht heimisch in den Rollen. Als Banker habe ich nie an der Börse spekuliert, Materielles zwar als notwendig, dennoch als problematisch empfunden. Als Läufer brachte mich niemand in einen Laufclub, bin heute noch reiner Einzelkämpfer. So empfand ich schon immer dieses ICH als unbefriedigend und fremd. Da muß noch etwas anderes sein...Und dann glaubt man irgendwann, dieses sich ständig verändernde Gebilde seien wir, unzerstörbar und den Tod überdauernd, man nennt es dann Seele oder Wesenskern. Eine fatale Illusion...Und dieses ICH schafft uns dann die bekannten Probleme. 

Dadurch entsteht dann das duale Denken, ich sehe mich hier als Subjekt, den anderen oder ein Phänomen da als Objekt, ich hier, Gott da, und drüben ist der Teufel. Und immer muß ich/ will ich besser sein als der andere, gescheiter, erfolgreicher, einfach dominant. Nein, das will ich nicht... 

Die Auflösung des ICH`S 

Während der Za-Zen-Übung gelangen wir in tiefere Bewußtseinsschichten, an unser Wahres Wesen, das Buddhawesen: Leer, voller Klarheit, still und friedlich. Dabei verschwindet dieses ICH- es ist weg, obwohl wir weiter leben und atmen und voll präsent sind. Der Übende fühlt sich nun nicht mehr getrennt von anderem, man ist sozusagen heimgekehrt. Da fühlt es sich heimisch an, vertraut, irgendwie geborgen... 

Beenden wir die Übung, ist das ICH wieder da und motzt, lobt und stänkert wieder wie immer herum: " Heute hast Du schlecht geübt, keine volle Konzentration- überhaupt habe ich jetzt Hunger und bin müde..." So oder ähnlich...Wir sind wieder im diskursiven Denken angekommen.  

Während der Zazen-Übung dagegen: Ich muß nichts bewerten, keinen " Standpunkt " haben- und habe ich mal einen, kann ich diese Ansicht morgen mühelos ändern, sofern ich neue Erkenntnisse, Infos oder neue Tatsachen erhalten habe. Jeder von uns ist in dieses Leben und seine Aufgaben eingebunden- dieses Üben gibt mir die Einsicht, wie das Leben ist, wenn ich nicht meine fixierte Rolle spielen muß. Wenn ich nicht reagieren muß, wenn ich keinen Unterschied wahrnehme zwischen mir und anderen/ anderem... 

Diese Geisteshaltung nimmt man dann unbewußt mit in den Alltag, während man seine Aufgaben erledigt: Wie ein Karatekämpfer ohne zu zögern und zu überlegen blitzschnell bei einem Angriff auf der Straße ausweicht und reagiert oder ein Judokämpfer sich abrollt, wenn er plötzlich ausrutscht und zu Fall kommt, so geht es auch mir: Auf einen persönlichen Angriff verbaler Art muß ich nicht unbedingt antworten und schweige, ich muß nicht zu allem meinen Senf dazu geben, und wenn ich was sage, bin ich bemüht, niemanden zu verletzen...Denn oft tut man das unbeabsichtigt und merkt es nicht mal...Ich muß nicht immer einen Standpunkt zu einer Sache einnehmen, denn oft sind die Dinge so kompliziert, so überaus komplex, daß man sie ohnehin schwer aus der Ferne " richtig, objektiv " einschätzen und beurteilen kann...  

Ich gewinne Toleranz, Gelassenheit statt permanenter Anspannung, eine gewisse Geborgenheit in diesem Sein trotz aller Schwierigkeiten und des Todes, der alle betrifft und eine Heiterkeit, wo sonst Trauer ist und Trauer, wenn ich traurig bin...Kurz, ich darf sein wie ich bin und muß mich nicht verstellen...

Und etwas ganz Praktisches zur Lebensbewältigung: Handle ich aus meinem Hara heraus bzw. bin ich in meiner Mitte, ist das Leben bzw. der Tag viel weniger anstrengend. Ich muß viel weniger Energie aufwenden, um meine täglichen Pflichten zu erledigen: Alles geht wie von selbst vonstatten. Dies habe ich allerdings erst nach einigen Jahren der Übung erfahren und erlebe es jetzt täglich neu. Allerdings gerate ich auch manchmal aus meiner Mitte, werde wütend, verstricke mich wieder in Vorstellungen- und dann ist es mühsam, das Leben. Aber nach dem nächsten Sitzen ist es wieder weg, ich fahre wieder im Energiesparmodus. Und oft höre ich dann nach einem 18-Stundentag: " Du bist unermüdlich, wirst Du nie müde? " Doch, aber ich merke es nicht, wenn ich mit meinem Tun verschmelze, ganz eins bin mit meinem Handeln. Genauso wenig wie ich dann Hunger bemerke- erst wenn ich am Tisch sitze, freue ich mich, daß es etwas zu essen gibt.

Ich möchte das nicht für mich in Anspruch nehmen, aber man kann sagen, man gewinnt an Weisheit. 

Und das nur, weil ich ständig eine Übung beharrlich wiederhole, die an sich und objektiv gesehen völlig sinn-los ist... 

Ich schließe mit einem Haiku von Meister Basho, einem bekannten Zen-Meister ( 1644- 1694 ): 

" Du alter Teich...

Ein Frosch springt hinein...

Das macht * plopp...* "  

Wenn Du jetzt mit der Praxis beginnen willst, lese bitte die Seite "Die Übung"

Im Impressum findest Du mein Angebot zur Lebenshilfe, sofern Du gerade in Schwierigkeiten bist.

Unten: Zen-Garten im Tofuku-ji , einem Zen-Tempel in der Stadt Kyoto, Japan


Nach oben