Zen-Alltag    

Ich schreibe bewußt nicht " Zen und Alltag ," sondern trenne nicht zwischen dem Sitzen in Za-Zen  und dem alltäglichen Leben- sonst wäre ich schon wieder im dualen, unterscheidenden Denken gefangen und erlebe die Welt nicht so, wie sie ist. Handelt man im täglichen Leben auch aus der Leere heraus, ist alles, was man tut Za-Zen.

Annehmen, wie es ist: Dies ist sehr wichtig, und während des Sitzens entsteht nach und nach die Fähigkeit, Situationen und Ereignisse so anzunehmen, wie sie eben derzeit sind. Auch und gerade wenn unser " Ich " es gerne anders hätte...

Wird man mit einem Geschehen konfrontiert, entstehen sofort Emotionen, und diese Gefühle wie Wut, Haß, Mißgunst und Angst lösen prompt Reaktionen aus: Unser " Ich " bewertet die Situation aus unserer Konditionierung heraus und hat sofort eine Einordnung, eine Schublade und daraus resultierend Lösungsstrategien parat. Man reagiert wütend, schlägt verbal oder sogar körperlich zurück, überlegt sich eine Möglichkeit, es dem anderen subtil versteckt heimzuzahlen. Dann sind die Taten nicht heilsam, sondern erzeugen- da wohlüberlegt und mit Absicht- Karma: Das heißt, sie schaden erst dem anderen und uns dann auch.

In solch einer Situation halte ich dann kurz inne und folge dann nicht meinem " Ich ": Handle ich dann aus der Leere heraus, ist meine Reaktion atypisch. Ich schweige z. B. auf eine handfeste Beleidigung einfach und gehe weg oder breche das Gespräch einfach ab. Dadurch erzeuge ich kein neues, unheilsames Karma und die Situation wird meistens entschärft. Natürlich darf diese Reaktion nicht künstlich oder aufgesetzt sein, sondern muß spontan aus der Leere heraus geschehen- dann spüre ich auch weder Wut noch bin ich gekränkt: Der Andere kann eben auf Grund seines derzeitigen Bewußtseinszustandes nicht anders handeln, fertig, aus. Außerdem ist da nichts, was gekränkt oder beleidigt werden könnte- sofern man es eben sieht, wie es wirklich ist...^^

Während der Sitz-Meditation hat man keinerlei Probleme, sieht man von gelegentlichen Schmerzen ab, die aber durch eine falsche Sitzhaltung entstehen und nach dem Korrigieren wieder verschwinden. Stehe ich dann auf, fühle ich mich frisch, leer und rein im Sinne von ganz, authentisch, ungekünstelt. Wie ein klarer Bergsee spiegle ich nur, was auf mich wirkt. Es gibt keinerlei negative Emotionen. Langsam ändert sich das jedoch, je nach den auftretenden Einflüssen. Auch meldet sich wieder das Ego oder Ich, Emotionen entstehen ebenso rasch wieder. Deshalb ist tägliches Üben unerläßlich, um den Geist immer wieder zu reinigen und sich dem Wesentlichen zuwenden zu können. Achtsamkeit ist deswegen immer zu üben bzw. permanent zu leben. Und oft pflege ich mein "unergründliches Zen-Schweigen," wenn ich mal wieder nichts zu einer schwierigen Situation sagen kann- weil Worte generell nicht alles klar und präzise ausdrücken können bzw. der Sache gerecht werden. Oder keine vernünftige Lösung abzusehen ist. Übt man Za-Zen, erkennt man rasch den hilfreichen Wert des Schweigens.

Im Alltag bemühe ich mich natürlich immer, die volle Konzentration bei allen Verrichtungen zu halten- so entsteht ein liebendes Mitgefühl für alle Menschen, jedes Tier und selbst das kleinste Ding. Alles hat seinen Wert, seine Berechtigung. Während des Za-Zens erkennt man, daß man tief in seinem Urgrund mit allen Lebewesen verbunden ist, wie die Grashalme einer Wiese alle auf demselben Untergrund stehen, alle dieselben Bedürfnisse haben, alle Wasser und Nährstoffe brauchen.

Oder wie es Zenmeister Jan Hendriksson sinngemäß formulierte: " Wir sind die Wellen, die alle demselben Ozean entstammen, sich manifestieren und dorthin zurückkehren. "

Zen ist nichts Besonderes, lehrten die bekannten Zenmeister Kodo Sawaki und sein japanischer Landsmann Shunryu Suzuki. Wer also als Anfänger glaubt, etwas Besonderes zu tun während des Sitzens, um nachher wieder in seinen gewöhnlichen, grauen und oft langweiligen Alltag zurückzukehren, ist auf dem Holzweg und verschwendet nur seine Zeit. Die Konzentration wird nahtlos weitergeführt, die Meditation ist der ganze Tag: Dann ist alles Za-zen, reine Praxis, nichts Besonderes.

Dann drücke ich während aller Handlungen und nicht nur während des Za-Zens mein ureigenstes, makelloses Buddhawesen aus. So lehrte es der große Meister Shunryu Suzuki, und so praktiziere ich es täglich.

Oft entdecke ich so Neues an bzw. in mir, an anderen Menschen, an Tieren: Sie sind alle irgendwie liebenswert, wenn auch mal nervig, unverwechselbar und doch- alle EINS.

Schwieriger wird es bei Verbrechern und anderen gewalttätigen Mitmenschen, Mördern und Attentätern. Dennoch gilt für sie uneingeschränkt dasselbe wie für alle Lebewesen. Unser Umgang mit ihnen hängt natürlich vom jeweiligen Bewußtseinszustand des Betrachters ab. Sie begehen aus ihrer schweren Verblendung heraus diese schreckliche Taten, die anderen schaden, oft das Leben kosten- aber sie zerstören sich auch gleichzeitig das eigene Leben...

Deshalb ist es unerläßlich, jeden Tag Za-Zen zu üben und unser bzw. mein Bewußtsein zu reinigen, um in immer tiefere Bewußtseinsebenen zu kommen: Dort ist Frieden, Klarheit, Leere.

Wie sich alles verändert, so auch der Zen-Übende: Dinge, die gestern noch wichtig waren, verlieren an Bedeutung, dennoch ist man gut gelaunt und freut sich selbst über kleine Begebenheiten: So entdeckte ich kürzlich- aufgrund seiner unübersehbaren morgendlichen Hinterlassenschaften- während der strengen Frost- und Schneeperiode einen Sperling, der es sich zur Nacht auf einem Balken unseres vorgezogenen Hausdaches gemütlich gemacht hatte. In ein Eckchen verzogen hatte er sich, wo ein Querbalken im rechten Winkel ein zugfreies, regen- und schneegeschütztes relativ warmes Plätzchen bot. Nur mit der Taschenlampe zu sehen war es, das kleine aufgepumpte Federbällchen, Köpfchen eingezogen. Jede Nacht sitzt er dort, standorttreu, geschützt, geborgen und wie es scheint, zufrieden: Das freut mich ungemein, und der kleine Piepmatz wärmt mir das Herz, ohne es zu ahnen...

"Solange Du das Gefühl hast, etwas ganz Tolles gefunden zu haben, solltest Du meiner Meinung nach nicht versuchen, es mit anderen zu teilen. Wenn das, was Du gefunden zu haben glaubst, völlig normal für Dich geworden ist, Alltag eben, hast Du nicht mehr das Bedürfnis, etwas mit anderen teilen zu müssen. Und wenn Du dann einfach nur lebst, dann teilst Du alles mit allen, ohne zu teilen."

Quelle: Ji`un Ken, Rinzai-Zenmönch und Zenlehrer, Dharma-Nachfolger von Harry Mi-Sho Teske. Allerdings hat er mir die Worte aus dem Mund genommen, ich fühle dasselbe und hätte es nicht besser sagen können.

Ist das Leben nicht wunderbar? Wir sollten uns über alles freuen, was wir erleben, solange wir können.

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